WISSENSWERTES, TIPPS & TRICKS

Die Augen, mit denen wir auf die Welt schauen

Warum Wahrnehmung dich weniger gesprächsfit macht

… als du denkst. 1.: Wir leiden unter der Fehlannahme, dass die Welt so ist, wie wir sie sehen. 2.: Wenn wir die Welt verschieden wahrnehmen, leiden darunter u.a. unsere Gespräche – wir unterhalten uns schließlich oft über genau das, was wir gerade vor den Augen haben.

Die konstruierte Realität:

Arbeitshypothese: Wahrnehmung ist ein Konstrukt. Dein Gehirn spiegelt keine objektive Realität wider, sondern das, was Du als „Wirklichkeit“ empfindest, ist konstruiert. Es entsteht aus Annahmen und Interpretationen, nicht aus harten Fakten. Kann das sein?

Ist Farbe ein Konstrukt?

Kennst Du den schönen Spruch: Seeing is believing? Die meisten Menschen glauben, dass ihre Augen ihnen im Alltag die Welt so zeigen, wie sie ist. So ist z.B. die Farbe dieser Schrift ein dunkles Blau; der Hintergrund ist weiß. Aber der Neurobiologe David Eagleman schreibt in seinem Buch The Brain:

„Wir denken, Farbe sei eine fundamentale Qualität der Welt, die uns umgibt. Aber außerhalb unserer Gehirne gibt es keine Farben.“

Huch. Was heißt hier Farben gibt es nicht? Nun gut, schauen wir uns das Wunderwerk Auge mal genauer an, mit seinen Abermillionen Photorezeptoren.

Ein Rezeptortyp (Stäbchenzellen) ist zuständig fürs Sehen bei wenig Licht – der zeigt allerdings keine Farben. Drei weitere Rezeptortypen (Zapfen) sprechen auf verschiedene Farbfrequenzen an, damit Du z.B. diesen Monitor nicht nur in schwarz-weiß siehst, sondern bunt.

So weit, so gut. Nur, dass Du mit diesen 3 Farbfrequenz-sensiblen Rezeptortypen noch längst keine Farbe siehst. Das volle Farbspektrum entsteht erst im Sehnerv, der die verschiedenen Reize miteinander kombiniert, um diesen Bildschirm bunt zu machen.

Das ist so ähnllich wie ein Drucker, der zwar in seinen Patronen nur 3 Farben hat, daraus aber Millionen verschiedener Farbtöne zaubern kann.

D.h. schon bevor die Daten aus Deinen Augen überhaupt Deinen visuellen Kortex erreichen, sind sie schon nicht mehr eine Widerspiegelung einer existierenden, objektiven Realität. Denn schon jetzt sind diese Daten eine Interpretation, ein Konstrukt. Der Drucker spuckt ja auch die Farben nicht genau so aus, wie Du sie vorher auf dem Bildshirm gesehen hast, sondern etwas … wie soll man’s sagen? Individuell.

„Wie bitte?! … Heißt das, jeder Mensch sieht Farben verschieden?“ – Kurzum: Ja, genau.

Farbe bleibt individuell 

Die Natur hat es zwar geschafft, unsere Farbrezeptoren alle ähnlich zu gestalten, aber nicht gleich.

Jeder Typ Farbrezeptor hat eine maximale Anschlagsfrequenz – die spezifische Lichtfrequenz, auf die dieser Rezeptortyp am stärksten reagiert. Doch die sind je nach Person etwas (wenn auch nur ein wenig) anders.

Deine Augen reagieren auf andere maximale Anschlagsfrequenzen als die Augen Deiner Freunde, oder als meine.

Und wenn alle drei Rezeptortypen nur ein kleines bisschen individuell reagieren, dann ergibt das insgesamt unendlich viele Möglichkeiten, Farben wahrzunehmen. Es ist wie ein Fahrradschloss: So viele Kombinationen, und schwer zu knacken.

Das ist auch einer der Gründe für den berühmten Streit um das Kleid in diesem Foto, über das Spiegel Online schreibt:

„Weltweit streiten Menschen darüber, ob ein Kleid blau-schwarz oder weiß-goldfarben ist.“ ▷Spiegel

Wie siehst Du es? Blau-schwarz oder weiß-gold? Und wenn Du Dich entschieden hast, frag 5 Freund*innen. Falls ihr die Farben alle gleich seht, schreib mir! … denn das käme einem kleinen Wunder nah.

Ungewöhnliche Fähigkeiten

Es gibt Menschen, die sehen die Welt komplett anders als Du und ich. Manche sehen tetrachromatisch — haben also nicht nur drei, sondern vier verschiedene Arten von Farbrezeptoren. Manche können unter bestimmten Bedingungen sogar ultraviolette Lichtfrequenzen sehen.

Aber wie definieren wir dann “sichtbare Frequenzen“? Sichtbar für wen?

Alles Konstrukte?

Was für’s Sehen gilt, gilt für alle Sinne: Beim Hören, beim Schmecken, usw. generiert jedes Gehirn leicht verschiedene Wirklichkeits-Konstrukte. Und die sind noch schwerer zu knacken – bzw. eins zu eins miteinander abzugleichen – als Fahhradschlössern.

Konstruktivismus

Eins ist klar: Die Neurobiologie, also die harten Fakten der Naturwissenschaften, unterstützen geisteswissenschaftliche Konzepte von vor knapp 100 Jahren – konstruktivistische Wahrnehmungstheorien. Doch all das führt uns zu einer berechtigten Frage:

„Was hat Konstruktivismus mit Kommunikation zu tun?“

Die kurze Antwort: Hören ist schließlich einer der 5 Sinne. Unsere Ohren liefern also auch hochgradig interpretierte Daten und somit Konstrukte.

Die etwas längere Antwort findest Du hier.

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