WISSENSWERTES, TIPPS & TRICKS

3 Gründe: Warum gute Gespräche wie Sport sind

Gewagte These?

Hier die Antithese:

„So ein Blödsinn. Gute Gespräche basieren auf geistigen Fähigkeiten – Sport ist körperlich!“

Aber ist das wirklich so? Sind Gespräche nicht körperlich? Schauen wir uns den Vergleich etwas genauer an. Was sind denn die fundamentalen Voraussetzungen für Sport und gute Gespräche? (Wer mein Buch kennt, weiß: Ich starte gerne mit dem Fundament.)

1. Infrastruktur

Sowohl sportliche Betätigung als auch gute Gespräche werden durch eine körperliche Infrastruktur ermöglicht. Für beides brauchen wir Knochen, Gelenke, Knorpel, Muskulatur, und die nervliche Infrastruktur, um Bewegungen auszulösen.

Und wer denkt, dass wir zum Sprechen und Zuhören diese Infrastruktur nicht brauchen, der sollte mal versuchen zu sprechen, ohne den Kiefer zu bewegen.

… oder den Begriff „Steigbügel“ googeln. Das ist nämlich nicht nur was für Jockeys auf Rennpferden, sondern auch der deutsche Begriff für den kleinsten Knochen im menschlichen Körper, mit einem durchschnittlichen Gewicht von 3-4 mg. Ohne diesen Knochen würdest du nie je ein Wort hören, denn er ist ein elementarer Bestandteil der Übertragungskette für Schallwellen in dein Gehirn.

Und dass beim Sprechen eine hochgradig komplexe nervliche Infrastruktur hochgradig komplexe Bewegungsabläufe auslöst, ist uns so selbstverständlich, dass wir uns nie Gedanken darüber machen müssen, was unsere Zunge, Lippen, Gaumen, Kehlkopf und Kiefer gerade tun, wenn wir ein Wort oder einen ganzen Satz aussprechen.

Für Sprachforscher wiederum ist die Komplexität dieser Bewegungsabläufe und unsere geradezu beiläufige Fähigkeit, sie umzusetzen, ein bisher nur bedingt ergründetes und verstandenes Wunderwerk.

2. Reaktionszeit

Sowohl beim Sport als auch in Gesprächen gibt es überlegte und unüberlegte Reaktionen. Hirnforscher haben erkannt, dass überlegte Reaktionen länger dauern. Manchmal 50 bis 100 mal länger.

Wenn’s im Sport also mal schnell gehen muss, wissen wir: Wir müssen uns auf unsere Reflexe verlassen können – und das tun wir, andauernd. Aber nicht jede Situation ist vorhersehbar, und manchmal sind unsere Reflexe falsch.

Das macht Sport ja gerade so spannend. In welchen Momenten lohnt es sich also, nicht innerhalb 20 ms zu reagieren, sondern eine ganze Sekunde – 50 mal länger! – aufs Nachdenken zu verschwenden? In vielen Sportarten ist 1 Sekunde eine Ewigkeit! Wann darf man die sich überhaupt gönnen, um bessere Entscheidungen zu fällen?

Antagonisten unserer Gespräche

Die Antagonisten in dieser Gleichung, überlegtes Handeln versus Zeitdruck, die kennen wir auch aus dem Alltag. Leistungssport treibt diesen Wettkampf auf die Spitze.

Im Alltag … also auch in Gesprächen? Na klar, in Gesprächen geht es auch oft um die Reaktionszeit, die wir uns nehmen bzw. gönnen.

Und unter Zeitdruck sind auch Sprechakte Reflexe. Das ist eine der verrücktesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung: Dass wir beim Sprechen zwar eine bewusste Wahrnehmung des Gesagten haben, dass Bewusstsein keine Voraussetzung für Sprechen ist.

Der Laie stellt sich vor: „Ich entscheide mich (bewusst), etwas zu sagen und dann sage ich es.“

Die Hirnforschung zeigt, dass es so sein kann, aber nicht muss. Unter Zeitdruck können unsere Gehirne Aussagen völlig automatisiert formulieren, und unser Bewusstsein muss nicht mitentscheiden, was wir sagen.

Platzverweis

Zeitdruck kann also sozusagen das Bewusstsein vom Platz verweisen, nicht nur im Sport sondern auch in Gesprächen. Dann sitzt es auf der Bank und beobachtet das Spiel. D. h. wir haben noch ein bewusstes Erfahren dessen, was wir da sagen, und natürlich macht das auf-der-Bank-Sitzen keinen Spaß, also gaukelt uns unser Bewusstsein vor, es nehme noch irgendwie Einfluss auf das Spiel. Tut es aber nicht.

1 Sekunde

Man kann anhand der Zeit, die das menschliche Gehirn braucht, um Gehörtes wahrzunehmen und zu verarbeiten, errechnen, dass es neurophysiologisch unmöglich ist, mit weniger als 1 Sekunde Pause auf das, was unsere Gesprächspartner gerade gesagt haben, bewusst & überlegt zu antworten.

Und dann ist es genau wie im Sport: Wenn drei oder fünf oder zehn Menschen miteinander sprechen, ist 1 Sekunde Pause viel zu lang! Irgendjemand reagiert immer in weniger als 1 Sekunde, und wenn du etwas beitragen willst, musst du das auch tun.

Das schnelle Wechseln von Gesprächsbeiträgen ist übrigens gut erforscht: Selbst in Gesprächen zwischen zwei Personen ist die durchschnittliche Pause nur 400 ms, und das ist ein Durchschnittswert, d.h. oft sind die Pausen kürzer. Die Entscheidung, sich die 1 Sekunde zu gönnen die du brauchst, um wirklich bewusst und überlegt zu antworten, ist also immer risikobehaftet und in den meisten Gesprächen ein Luxus.

Fazit

Den Wettstreit der Antagonisten überlegtes Handeln und Zeitdruck gibt’s nicht nur im Sport, sondern auch in Gesprächen.

3. Training

Warum verbringen Sportler so viel Zeit mit Training? Weil es selbstverständlich ist, dass gewisse Bewegungsabläufe in qualitativ hochwertige Reflexe abgewandelt werden müssen. Weil Muskeln wachsen, Sehnen gedehnt, Lungen und Kreislauf gestärkt und Reaktionszeiten minimiert werden müssen. Gute Leistungen sind von gutem Training abhängig; das ist allen bekannt.

Aber für gute Gespräche gibt es nur selten derartiges Training. Um ihre Kommunikation zu verbessern, gehen Manager in ein- oder zweitägige Workshops, haben da etwas gelernt, vergessen innerhalb weniger Wochen über 90% dessen, was sie gelernt haben, und hinken in der Anwendung des Gelernten hinterher wie ein Marathonläufer mit Wadenkrampf.

Das Irrwitzige daran ist, dass Hirnforschung unterdessen unmissverständlich zeigt, wie wichtig auch für Gespräche ein regelmäßiges Training ist.

Kleinere Trainingseinheiten

Gute Kommunikation wird nicht in 2 Tagen und auch nicht in einem zehntägigen Intensivkurs gelernt, sondern durch regelmäßiges Training, gerne auch in kleinen Einheiten. Wir müssen nicht alle Gesprächs-Weltmeister werden, und die meisten Menschen haben ehrlich auch keine Zeit für stundenlange Trainingseinheiten.

Und da gibt uns die Digitalisierung gerade eine große Chance, denn eLearning ermöglicht eine bis jetzt nie dagewesene Flexibilität im Umgang mit kleineren Trainingseinheiten. Wann? Entscheidest du selbst. Wo? Entscheidest du selbst. Wie viel auf einmal? Entscheidest du selbst.

Alte Marotten

Doch selbst 20 Jahre nach einschlägigen Forschungsergebnissen glauben immer noch viel zu viele, gute Kommunikation sei etwas rein Geistiges. Man müsse nur gewisse Regeln verstanden haben und durch das Verstehen ergäbe sich eine Änderung in den eigenen Verhaltensweisen.

Und genau deshalb sind viele Firmen und Privatpersonen in ihrem Bestreben, etwas an ihrer Kommunikation zu verändern, völlig auf dem Holzweg.

Fähigkeiten in Gesprächsführung, die Qualität von Teamsitzungen und gegenseitiges Verständnis verbessern sich nicht, weil man etwas verstanden hat, sondern nur dann, wenn wir bis in die Sphäre antrainierter Reflexe vordringen und Veränderungen in unseren Verhaltensmustern schaffen — durch regelmäßiges Training.

Wachstum

Beim Training geht es um noch viel mehr als nur qualitativ hochwertige Reflexe. Wenn im Sporttraining Muskeln beansprucht werden, findet später im Körper Wachstum statt. Beanspruchte Muskeln werden ja nicht nur repariert, sondern auch in weiser Voraussicht auf spätere Belastungen vorbereitet und gestärkt.

Genau das macht dein Gehirn auch. Nach geistiger Belastung braucht es eine Pause und baut dann neue Nervenverbindungen auf, in weiser Voraussicht darauf, die gelernten Prozesse in Zukunft schneller und energieeffizienter bedienen zu können als vor dem Training.

Wie kleine Ästchen sprießen aus Gehirnzellen „Dendriten“ genannte Verzweigungen hervor, suchen sich die passenden Andockstellen und bilden neue Synapsen. Das kann sehr schnell gehen. Innerhalb weniger Stunden kann das Gehirn Abertausende neuer Synapsen herstellen.

Use it or lose it

Und genau wie beim Sport werden nicht gebrauchte Synapsen, Verknüpfungen und Dendriten-Ästchen auch wieder abgebaut. Use it or lose it. Oder, wie der berühmte Neuroplastizitätsforscher Merzenich sagte:

„Neurons that fire together, wire together.“ (Neuronen, die zusammen feuern, verknüpfen sich miteinander.)

Wenn ich also an zwei Tagen ganz viel gelernt habe und es danach nicht regelmäßig anwende, wenn ich nicht auf oft wiederholtes Training achte, dann ist es selbstverständlich, dass der ganze Kram nach 2-3 Wochen längst wieder vergessen ist.

Und trotzdem feuern Konzerne für Kommunikationstrainings viel Geld raus und wundern sich dann, wie wenig es im Endeffekt gebracht hat. Und jedes Jahr verbrennt schlechte Kommunikation in den USA allein ca. 40 Milliarden Dollar.

Es lohnt sich also nicht nur für uns persönlich, weil’s dann Gespräche mehr Spaß machen, sondern auch finanziell. Es gibt kaum eine andere Fähigkeit, die auf einen Schlag sowohl unserer Lebensqualität als auch der Wirtschaft so dienlich ist wie gute Kommunikation.

Es richtig anpacken

Dann lohnt es sich bestimmt auch, es richtig anzupacken. Wie im Sport, mit kleinen leichten Trainingseinheiten, vielen Spielen und eben nicht nur einmal alle zwei Jahre, sondern mindestens einmal pro Woche.

Egal, ob du gerne schwimmst, läufst, Badminton, Tennis oder Fußball spielst: Du erwartest ja auch da nicht, dass du plötzlich etwas verstanden hast und dann der absolute Meister wirst, nur weil du zwei Tage lang einem Vortrag gelauscht hast.

Und genauso ist es mit Gesprächen: Die kleinen Fortschritte zählen und der Spaß am Tun. Denn auch das haben sportliche Leistungen und gute Gespräche gemeinsam – sie können unheimlich viel Spaß machen, der reine Gaudi!

Lust darauf? Bald kommen die ersten Trainings – melde dich doch schon mal an!

–> gross@systemics-academy.com

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