Missverstanden:
Wie oft hattest Du schon das Gefühl, du wurdest falsch verstanden? Oder: Deine Wünsche wurden nicht respektiert? Oder: Jemand hatte etwas versprochen, tat’s dann aber nicht? Du hattest also eine Erwartung an das Verhalten deines Gesprächspartners und die wurde enttäuscht.
Jetzt kannst Du dich entscheiden.
a. Du stempelst dein Gegenüber als geistig minder bemittelt, unempathisch, respektlos oder einfach unverbindlich ab. Als Schaumschläger, Lusche, Idiot oder so ähnlich.
b. Du weißt: „It takes two to tango.“ (Zu einem Streit gehören immer zwei.)
Falls a., dann bitte nicht weiterlesen. Falls b., dann gibt’s hier Antworten, Tipps & Tricks.
Der interne Konflikt
Aus der Wahrnehmungstheorie wissen wir, dass unsere Erwartungen subjektive Konstrukte sind. Es geht also nicht um einen externen sondern um einen internen Konflikt; im Kern geht es immer um enttäuschte Wünsche und Bedürfnisse.
Nun kann man natürlich sagen: Nein, nein, nein! Meine Erwartungen basieren auf objektiven, allgemeingültigen moralischen Standards! Und mein Gegenüber hat die zertrampelt! Tja, dann … siehe a.)
Was bringt dich ans Ziel?
Die wirklich zielführende Fähigkeit in einem Gespräch, wenn Du das Gefühl hast, dass eine Erwartung nicht erfüllt wurde, ist es, deinen eigenen Wunsch zu erkennen und um Erfüllung zu bitten – oder sie gegebenenfalls einzufordern.
Die wichtige Erkenntnis ist: Es geht um Dich.
Erkennen
Das Erkennen der eigenen Bedürfnisse kann dabei manchmal ganz schön tricky sein, denn gewisse Bedürfnisse spielen auch mal gerne Verstecken.
Mein Lieblingsbeispiel: Generalisierungen. Wie oft schlagen sich Menschen mit „Du bist immer soundso“ oder (leider immer noch) „Polen / Juden / Schwule sind immer soundso“ herum, bis ihnen die Luft ausgeht?
Und am Ende hat’s nichts gebracht, das zu sagen. Nicht nur, weil’s meistens nicht wahr ist, sondern auch, weil man um den heißen Brei geredet hat. Was wir wirklich sagen wollten, bleibt versteckt.
Mein Kumpel Rudi
Nehmen wir mal meinen Kumpel Rudi. Rechtsanwalt, 39, homosexuell, steckt gerade im Beziehungsstress, und sagt mir:
„Wir Männer brauchen halt mehr Freiheit.“
Ich: „Wie meinst Du das?“ Er: „Naja, ist doch so. Schau dir doch mal an, wie viele hetero-Beziehungen offen sind, und wie viele schwule.“ Ich: „Kenn ich mich nicht mit aus.“ Er: „Ja Du – du bist ja auch seit 10 Jahren glücklich verheiratet, du Arsch.“ Ich: „Danke, lieb ausgedrückt.“ Er: „Mein ich ja.“
Ich weiß übrigens, dass Rudis Freund mit der offenen Beziehung glücklich ist, Rudi früher auch so drauf war, sich aber jetzt eigentlich Exklusivität wünscht.
Jetzt mal ehrlich …
Ich: „Und, hast Du’s ihm schon mal gesagt?“ Er: „Was?“ Ich: „Dass Du voll bürgerlich geworden bist, also `n bisschen mehr wie ich, so mit 10 Jahren Ehe und so.“ Er: „Du musst aber auch immer gleich den Finger in die Wunde stecken.“ Ich: „Ist doch ok, sich zu ändern – aber du musst ihm schon sagen, was du willst.“ Er: „Muss ich?“ (Etwas Gelächter lässt die Spannung raus.)
Mal davon abgesehen, ob du offene Beziehungen gutheißt oder nicht (darum geht’s hier nicht), war Rudis Problem, dass er generalisiert gedacht hat („Männer brauchen mehr Freiheit“) und somit hatte er gleich eine Ausrede parat, warum er nicht über seine Bedürfnisse sprechen konnte.
Gesagt, getan
Glücklicherweise hat er’s dann doch getan, die zwei haben sich arrangiert, sind ins Berliner Umland gezogen (das erste Mal in ein gemeinsames Haus) und haben geheiratet. Klar, die Beziehung war zwischendurch eine Weile kipplig, aber Veränderung kann auch was Gutes sein.
Natürlich geht’s nicht immer gut, das zeigen uns Yui und Francois (LINK), aber – und jetzt komm‘ ich mit meiner Generalisierung um die Ecke – es ist immer besser, Bedürfnisse anzusprechen, als sie abzuwürgen.
Klein übt sich
Es müssen auch nicht immer so große Themen sein. Vor ca. 8 Jahren nahmen meine Frau und ich an einem Kurs teil, in dem dieses Thema dran war – was es bringt, Bedürfnisse und Gefühle offen anzusprechen.
Dazu muss man wissen: Sie ist Japanerin und konfliktscheu; ich bin in Berlin unter Lehrerinnen, Rechtsanwälten und Richterinnen groß geworden. Konfliktfreudige Direktheit, selbst mal ab und zu aufbrausend seine Meinung verfechten – das gehörte zum gediegenen Ton.
Es ging also eines Tages einfach um den Ton – man könnte sagen, die Intensität, mit der ich meiner Frau gegenüber bei einem Spaziergang meine Argumente darlegte.
Etwas schockiert und verstummt
Ich hole also gerade energisch-eloquent aus, da unterbricht sie mich in ihrer unnachahmbaren, super-ruhigen Art und sagt nur:
„Ben, ich fühle mich gerade … angegriffen.“
Kein vorwurfsvoller Blick, kein Drama – einfach nur diese Aussage, ganz sachlich. So sachlich wie’s eben geht, wenn dir deine Frau sagt, dass sie deine coole Rhetorik wie verbale Schläge empfindet.
Ich wusste gar nicht, was Mann darauf erwidern kann. Also hielt ich die Klappe.
Vom Gefühl zum Bedürfnis
„Ich fühle mich angegriffen“ ist ja erstmal nur ein Gefühlszustand, man könnte sogar sagen: reine Interpretation. Und ich hätte also auch ganz locker können:
„Ach Quatsch mit Soße, wir diskutieren doch nur – es geht um die Sache.„
Aber es ist nicht allzu schwer, das Bedürfnis in der Aussage zu erkennen:
„Ich (Yoko) brauch’s ein bisschen weniger intensiv bitte, denn ich bin nicht mit deiner (Bens) Diskussionskultur aufgewachsen.“
Und wenn sich deine Frau das wünscht, sagst Du dann nein?!
Sag, was du willst
Wir halten Manches für selbstverständlich. Z.B., dass zwei Personen, die sich lieben, ein übereinstimmendes Verständnis davon haben, was ein angemessener Umgangston ist. Das muss aber nicht so sein.
Und wenn du willst, dass dein Gegenüber versteht, was du gerade empfindest, dann sag’s ihm. Dass das nicht immer auf Anhieb gut klappt, ist klar. Und man kann’s auch übertreiben. Aber wenn’s um wichtige Themen geht, sollte man diese Fähigkeit mit in jede soziale Beziehung bringen, sei es die Ehe oder die Kommunikation mit Kollegen.
Am Ziel? Noch nicht ganz
So, jetzt hast du diesen Blog-Beitrag gelesen und jetzt muss das sofort funktionieren. Du weißt ja jetzt, wie’s geht: Sag, was Du fühlst und was Du willst. Alles klar, na dann mal los.
Sorry – schön wär’s, aber damit sind Konflikte vorprogrammiert. Erstens ist werden plötzliche, unerwartete Veränderungen von unserem sozialen Umfeld nicht immer nur positiv wahrgenommen. Und zweitens gehört ein bisschen mehr dazu als Sprechen.
Weiterführendes Training
Es lohnt sich, 3 ausschlaggebende Fähigkeiten zu trainieren, die bei aller Begeisterung – „Krass, ich kann meine Bedürfnisse jetzt klarer zum Ausdruck bringen“ – oft untergehen:
1. Bedürfnisse erkennen, und zwar die echten, ganz persönlichen Bedürfnisse – nicht nur an der Oberfläche kratzen.
2. Akzeptieren, dass es dein eigener Konflikt ist – befrei Dich von Schuldzuweisungen und Vorwurfshaltung; das löst nur mehr Streit aus.
3. Ruhige, selbstbehauptende Klarheit ausstrahlen – Stimmlage, Mimik und Gestik so gestalten, dass Du nicht selbst aggressiv, kaltschnäuzig oder bedürftig rüberkommst.
Lust darauf? Bald kommen die ersten Trainings – melde dich doch schon mal an!